Prof. Dr. Jürgen Maaß
In der Diskussion über realitätsbezogenen Mathematikunterricht wird häufig das Bild eines Modellierungskreislaufes zitiert oder leicht verändert benutzt, welches von den Kollegen Blum und Leiß veröffentlicht wurde. In diesem Bild werden der Rest der Welt und die Mathematik durch Modellierung in Verbindung gebracht. Das Bild und insbesondere seine weitgehende Akzeptanz ist ohne Zweifel innerhalb der Mathematikdidaktik ein Fortschritt; aus wissenschaftlicher Sicht ist es jedoch in vielerlei Hinsicht unzureichend. Wichtige Fragen bleiben unerwähnt, die für die tatsächliche Anwendung von Mathematik in der realen Welt zentral sind: Welcher Aspekt der realen, sozialen oder natürlichen Umwelt soll weshalb und mit welcher Zielsetzung optimiert werden? Wie wird „Realität“ erkannt und modelliert? Wer gibt den Auftrag, wer setzt die Ziele, wer entscheidet über die Akzeptanz von Ergebnissen? Werden ethische Konsequenzen der Veränderung der Realität aufgrund der erzielten Ergebnisse berücksichtigt? Wer trägt die Verantwortung?
Sind solche Fragen ein böser Angriff auf die Mathematik und den Unterricht? Nein, im Gegenteil: Wenn im Mathematikunterricht solche Fragen mit behandelt werden, können allgemeine Bildungsziele des Mathematikunterrichts und insbesondere ein tieferes Verständnis von Mathematik selbst besser erreicht werden.
Datum: 29.11.2012, Raum: G03-106, Zeit: 17:00